Erfolg mit einfachen Standardprodukten - 16.03.2007
Geeignete Strukturen erlauben Fertigung von Einfachprodukten in Deutschland (von Jörg Abel, Dortmund, und Stefan Kaiser, Menden)
Die aktuelle Debatte über die Sicherung der Arbeitsplätze am Standort Deutschland fokussiert auf High-Tech-Produkte; einfache Standardprodukte (z.B. Erzeugnisse aus den Branchen Metallerzeugung und -verarbeitung, Holz-, Papier- und Druckgewerbe) sind, so die gängige Auffassung, nicht mehr kostengerecht produzierbar und werden früher oder später in Billiglohnländer verlagert. Das Beispiel der Friedr. Freek GmbH zeigt jedoch, dass die Fertigung von Einfachprodukten bei einer entsprechenden organisatorischen und personellen Struktur auch in Deutschland eine Zukunft haben kann.
Friedr. Freek ist Betriebspartner in dem von dem BMBF durch den Projektträger Forschungzentrum Karlsruhe geförderten Verbundvorhaben "Lean Implementation – Pragmatische Einführung ganzheitlicher Geschäftsmodelle in Unternehmen der einfachen Standardfertigung" (www.lean-implementation.de), das vom Lehrstuhl Wirtschafts- und Industriesoziologie der Universität Dortmund koordiniert wird.
Ausgangssituation
Der generelle Rückgang industrieller Fertigung in Deutschland, der Preisdruck, die wachsenden Importe einfacher Produkte sowie die Verlagerung von unqualifizierten, vielfach manuellen Fertigungstätigkeiten in kostengünstigere Regionen wie Osteuropa und Asien legt nahe, dass die Produktion von einfachen Standardteilen am heimischen Standort in absehbarer Zukunft vor dem Aus stehen wird. Unter einfachen Standardprodukten werden Produkte verstanden, die durch eine geringe technische und funktionale Komplexität und einen hohen Standardisierungsgrad gekennzeichnet sind, vielfach in großen Serien hergestellt werden sowie auf einem ausgereiften technischen Prinzip beruhen (zum Beispiel Zulieferteile aus Metall oder Kunststoff, Möbel etc.) [1]. Sozialwissenschaftliche Untersuchungen zeigen jedoch, dass die Herstellerfirmen, vielfach kleine und mittlere Unternehmen (KMU) Potentiale in sich bergen, mit denen sie ihre Wettbewerbsfähigkeit trotz vermeintlicher Nachteile bei den (Arbeits-)Kosten sichern und ausbauen können [1]; [2].
KMU mit "einfacher Standardfertigung" zeichnen sich druch einige Spezifika aus, die sowohl als Stärke als auch als Schwäche interpretiert werden können. Zu den Stärken zählt aufgrund der geringen Betriebsgröße die hohe Flexibilität, die sich u.a. in einem niedrigen Formalisierungsgrad der organisatorischen Strukturen niederschlägt. Bei den Schwächen sind die begrenzten Handlungspotentiale und Strategiefähigkeiten zu nennen, die sich durch die geringen Kapazitäten etwa in personeller oder finanzieller Hinsicht ergeben. Aufgrund ihres in der Regel auf den Eigentümerunternehmer konzentrierten Managements weisen sie eine tendenziell vertrauensbasierte Unternehmenskultur auf [3]. Basierend auf ihren spezifischen Organisations- und Personalstrukturen können diese KMU trotz ihrer doppelten Problemlage – begrenzte Kapazitäten und einfache Standardprodukte - erfolgreich agieren.
Das betrachtete Unternehmen und die Produkte
Die Firma Friedr. Freek ist ein eigentümergeführtes Unternehmen mit ca. 50 Beschäftigten, das seit über 50 Jahren im sauerländischen Menden ansässig ist. Produziert werden so genannte Standardheizelemente (STHE), Bild 1, und technologisch anspruchsvolle HotMicroCoils (HMC), Bild 2, ein drittes Standbein sind Handelswaren. Insbesondere die STHE sind ein ausgereiftes Geschäftsfeld, das nur noch in begrenztem Rahmen Innovationen eröffnet. Die Kunden stammen aus der Haushaltsgeräteindustrie, dem Kunststoffmaschinenbau, der Medizin- und Labortechnikproduktion sowie der Großküchenausrüstung. Der Umsatz betrug 2006 ca. 6 Millionen Euro, Bild 3.
In der Fertigung üben ca. 35 Beschäftigte, vielfach mit Migrationshintergrund und ohne abgeschlossene Berufsausbildung, die vorwiegend manuellen Tätigkeiten an einfachen Maschinen aus; in der Verwaltung (Marketing und Entwicklung, interne Services etc.) arbeiten etwa 15 Beschäftigte mit kaufmännischer oder ingenieurwissenschaftlicher Ausbildung. Die Aufbauorganisation ist bewusst einfach gehalten, die Hierarchie ist sehr flach.
Die wirtschaftliche Situation ist durch eine weltweite Konkurrenz und den damit verbundenem Preisdruck charakterisiert, insbesondere beim Standardprodukt STHE. Das führte dazu, dass in diesem Produktsegment Umsatzrückgänge zu verzeichnen waren. Inzwischen hat eine Erholung stattgefunden, die insbesondere auf Neuerungen und einen permanent hohen Qualitätsstandard zurückzuführen ist.
Damit sind produktseitig zwei Faktoren benannt, die es auch deutschen Unternehmen der einfachen Standardfertigung erlauben, trotz großer Preiskonkurrenz am Weltmarkt bestehen zu können. Freek hält sich bewusst aus dem Preiswettbewerb heraus und setzt stattdessen auf eine Nischenstrategie und damit in Verbindung auf eine Strategie der Technologieführerschaft (individuelle Kundenlösungen, hohe Qualität). Darüber hinaus lassen sich jedoch mit der Organisation und der Personalpolitik weitere zentrale Faktoren identifizieren, deren Einfluss auf den Erfolg nicht zu unterschätzen ist.
Organisationsstruktur
Zu den Ergebnissen einer aktuellen McKinsey-Studie [4], die sich mit den Erfolgsfaktoren mittelständischer Unternehmen auseinandersetzt, zählt u.a. auf der Aspekt "konsequente Professionalisierung der Unternehmensführung". Auch wenn Freek die bei McKinsey formulierten Anforderungen (separate Organisationseinheiten für Zentralfunktionen, Management mit umfassender Führungs- und Industrieerfahrung, variable Vergütung) aufgrund seiner Unternehmensgröße nur zum Teil erfüllt bzw. erfüllen kann, zeigt sich an diesem Faktor dennoch der hohe Stellenwert für den wirtschaftlichen Erfolg.
Das Organigramm von Freek macht deutlich, dass keine Ähnlichkeiten mit den bekannten Typen der Aufbauorganisation bestehen. Weder existiert eine klassische Linienorganisation, ein Funktionssystem oder eine Spartenorganisation. Vielmehr werden bestimmte betriebliche Funktionen benannt, bei denen sich schon in der gewählten Darstellungsform zeigt, dass sie nicht strikt voneinander getrennt sind, Bild 4.
Ziel des Strukturprinzips ist es, in der Verwaltung die grundsätzlich problematischen Schnittstellen zwischen Abteilungen zu minimieren, Austausch zu fördern und Bereichsdenken zu verhindern. Die Vorzüge zeigen sich auch in der Umsetzung: Einzelne Beschäftigte sind nicht einer Abteilung zugeordnet, vielmehr gibt es Aufgabenbündelungen, die von Teams bearbeitet werden, was insbesondere das Funktionsbündel Marketing, Vertrieb und Entwicklung belegt.
Damit einher gehen flachen Hierarchien. An der Spitze steht die Geschäftsführung, darunter gibt es in der Verwaltung keine weiteren Vorgesetzten; in der Fertigung ist mit dem Betriebsleiter und seinem Stellvertreter eine Hierarchiestufe eingefügt. Mit der flachen Hierarchie verbunden ist insbesondere in der Verwaltung eine hohe Autonomie der Beschäftigten bei ihrer Tätigkeit und ein gering gehaltener formaler Planungsaufwand.
Diese Organisationsstruktur bietet speziell für die Verwaltung eine Reihe von Vorteilen. Die hohe Autonomie bzw. die großen Entscheidungsspielräume, entlastet die Geschäftsführung in einem erheblichen Ausmaß vom operativen Tagesgeschäft. Damit entgeht sie einem Schicksal, das in vielen inhabergeführten KMU zu beobachten ist. Eingespannt in tägliche Entscheidungsprozesse fehlt die Zeit, der immer wichtiger werdenden strategischen Planung genügend Aufmerksamkeit zu schenken.
Zudem wird die Motivation der Beschäftigten gefördert. Die Chance, eigenverantwortlich Entscheidungen zu treffen, wird gerade von (hoch)qualifizierten Beschäftigten als wichtige Voraussetzung gesehen, um "Spaß an der Arbeit" zu haben. Ein weiterer, schon angeklungener Vorzug ist eine Reduzierung der Schnittstellen und damit verbunden eine Flexibilitätssteigerung. Das zeigt sich beispielsweise in der schnellen Beantwortung von Kundenanfragen, die bei Freek unter dem Motto "Wir liefern dann, wenn die anderen meist ihr Angebot geschrieben haben" firmiert.
Personaleinsatz
Mit dem Personaleinsatzkonzept sollen bei Freek zwei Ziele erreicht werden. Zum einen geht es um die Höhe der Arbeitskosten. Um diese wettbewerbsfähig zu gestalten, wird zunächst in der Fertigung angesetzt. Die Rekrutierung gering qualifizierter Arbeitskräfte und Heimarbeiter für die einfachen Fertigungs- und Montagetätigkeiten trägt zur Kostensenkung bei. Darüber hinaus wird versucht, die Instrumente der Arbeitsmarktpolitik (wie Zuschüsse der Agentur für Arbeit) zur Reduzierung der Arbeitskosten zu nutzen.
Das zweite Ziel ist die Aufrechterhaltung der notwendigen Flexibilität. Einmal geschieht das durch eine entsprechende Arbeitsvertragsgestaltung, bei der versucht wird, die Interessen des Unternehmens mit denen der Beschäftigten zu verbinden. Dies zeigt sich bei den Teilzeitverträgen, bei denen auf Wunsch der Beschäftigten auch kurzfristig die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit aufgestockt oder gesenkt werden kann. Zudem soll Flexibilität durch Arbeitszeitflexibilisierung gesichert werden. So existiert in der Fertigung eine Spanne von 35 bis 42 Wochenstunden, auf die je nach Auftragslage zurückgegriffen werden kann. Die Flexibilisierung schließt auch den Sonnabend als Arbeitstag ein. Steht Mehrarbeit an, wird dies den Beschäftigten frühzeitig angekündigt; fallen die Überstunden über längere Zeit an, haben die Beschäftigten die Wahl, zu welchen Bedingungen sie die Mehrarbeit erledigen wollen.
Das Leitbild, das sich hinter der Organisationsstruktur und dem Personaleinsatzkonzept verbirgt, wird als Keep It Simple Stupid (KISS) bezeichnet. Die Maxime dieses Leitbildes lautet, dass Tätigkeiten und Projekte so einfach wie möglich abzuwickeln und Probleme so einfach wie möglich zu lösen sind. Die Funktionstüchtigkeit dieses Leitbildes wird gewährleistet durch die flache Hierarchie, die kurzen Kommunikationswege aufgrund fehlender Abteilungsstrukturen sowie die Vermeidung von Bürokratie.
Unternehmensphilosophie
Der "Kitt", der die einzelnen Bausteine bei Freek zusammenhält, ist eine Unternehmensphilosophie, die zwar nicht, wie in vielen anderen Unternehmen, überall in der Fertigung oder Verwaltung aushängt, gleichwohl aber "gelebt" wird. Diese Unternehmensleitlinien umfassen Aspekte wie die Konzentration auf die eigenen Stärken, ohne sich dabei seiner Schwächen zu schämen, Probleme und Konflikte nicht als negativ, sondern quasi als in der Natur der Sache begründet zu sehen, oder den Anspruch zu realisieren, ein Image als Problemlöser für den Kunden zu haben.
Das Bemerkenswerte an dieser Philosophie sind weniger die Inhalte, sondern der Bezug der Beschäftigten bei ihrer täglichen Arbeit auf diese. Die Inhalte bilden - ob bewusst oder unbewusst – die Handlungsrichtlinie im betrieblichen Miteinander. Dabei ist es nebensächlich, ob die Leitlinien von den Beschäftigten auswendig aufgesagt werden können; zentral ist, den "Geist" verstanden zu haben und mit der Geschäftsleitung Führungskräfte zu haben, die nach der Intention ihrer Leitlinien handeln.
Dabei ist ein kooperativer Führungsstil förderlich. Dieser offenbart sich insbesondere in den Entscheidungs- und Beteiligungsspielräumen der Beschäftigten. Sie werden intensiv eingebunden in größere Investitionsvorhaben, zum Beispiel in die Anschaffung eines neuen ERP (Enterprise Resource Planning)-Systems. Außerdem können sie in ihrer täglichen Arbeit vielfach auch weitreichendere Entscheidungen treffen, ohne sich die Erlaubnis der Geschäftsführung einholen zu müssen, die auch bei Fehlentscheidungen hinter ihren Beschäftigten steht. Diese Gestaltungschancen motivieren und führen zu einem engen Miteinander im Unternehmen. Oder wie es eine Beschäftigte ausdrückte: "Wir strahlen positiv!"
Fazit
Das Beispiel der Friedr. Freek GmbH zeigt, dass es auch unter den Bedingungen in Deutschland für KMU der einfachen Standardfertigung möglich ist, erfolgreich zu produzieren. Um diesen Erfolg zu sichern, sind wettbewerbsfähige Produkte (Nischenfertigung, hohe Qualität, Problemlösungskompetenz), optimierte Prozesse und eine Einbindung in Netzwerke [5], aber ebenso eine flexible Arbeits- und Aufbauorganisation sowie eine auf die Rahmenbedingungen angepasste Personalpolitik nötig. Schaffen es die Unternehmen dann noch, die Einzelteile durch einen gemeinsamen Bezugspunkt wie eine motivierende Unternehmensphilosophie zu verschmelzen, bestehen gute Chancen für die Herstellung einfacher Produkte in Deutschland.
Literatur
- [1]
- Schmierl, K. (Hg.): Intelligente Produktion einfacher Produkte am Standort Deutschland. Frankfurt/New York, 2000.
- [2]
- Bender, G.; Jacobson, D.; Robertson, P. (eds.): Non-Research-Intensive Industries in the Knowledge Economy. In: Perspectives on Economic Political and Social Integration, Special Edition, XI, No 1-2, 2005.
- [3]
- Hirsch-Kreinsen, H.: Internationale Netzwerke kleinerer und mittlerer Unternehmen. In: H. Hirsch-Kreinsen; M. Wannöffel (Hg.), Netzwerke kleiner Unternehmen, Berlin, 2003, S. 9-34
- [4]
- Unternehmertum Deutschland: Perspektiven für profitables Wachstum. Ergebnisse der Mittelstandsinitiative "Unternehmertum Deutschland". Düsseldorf, 2005.
- [5]
- Kaiser, S.; Kaiser, W. (Hg.): Chance Kooperation – ein Leitfaden für kleine und mittlere Unternehmen. Stuttgart, 2000.
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